Best Practices Rahmenbedingungen

Wer sich politisch einbringen möchte, trifft auf Rahmenbedingungen, die nicht für alle gleich offen oder zugänglich sind. Vielfalt in der Politik entsteht nicht von allein. Sie braucht bewusst gestaltete Strukturen, die unterschiedliche Lebensrealitäten berücksichtigen und politische Teilhabe für alle ermöglichen. Wir zeigen, wie es geht.

In der kommunalpolitischen Arbeit, in der viele Interessen und Perspektiven aufeinandertreffen, sind klare Verhaltensregeln unerlässlich, um eine konstruktive Zusammenarbeit zu ermöglichen. In den Sitzungen von Gemeinderäten oder Ausschüssen geht es nicht nur darum, Meinungen auszutauschen, sondern auch Entscheidungen zu treffen, die das Leben der Bürger*innen vor Ort direkt betreffen. Ohne feste Regeln kann es schnell zu Konflikten kommen, sei es durch unterbrochene Redebeiträge, herablassende Bemerkungen oder ungerecht verteilte Redezeiten.

Ein Verhaltenskodex in der Kommunalpolitik sorgt dafür, dass jede Person, die sich zu Wort meldet, respektvoll behandelt wird. Dazu gehört beispielsweise, dass niemand durch „Hepeating“ – also das Wiederholen und Unterschätzen von Beiträgen von Frauen durch männliche Kollegen – übergangen wird. Ebenso wichtig ist, dass alle Teilnehmer*innen sich ausreden lassen, kritische Diskussionen sachlich bleiben und keine persönlichen Angriffe geäußert werden. Diese Regeln fördern nicht nur ein faires Gesprächsklima, sondern stellen sicher, dass alle Stimmen, besonders die von unterrepräsentierten Gruppen wie Frauen, gehört und in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.

Dr. Sarah Zalfen ist als Stadtverordnete in Potsdam maßgeblich an der Umsetzung des deutschlandweit ersten „Verhaltenskodexes für wertschätzende Kommunikation“ beteiligt. Dieser wurde von der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung im Jahr 2020 beschlossen. Der Verhaltenskodex war von den Potsdamer „Fraktionärinnen“ initiiert worden, einem überparteilichen Bündnis kommunalpolitisch aktiver Frauen in Potsdam. Im Kreistag Rendsburg-Eckernförde wurde im September 2023 ebenso ein Verhaltenskodex beschlossen. Die Initiative entstand aus einem überparteilichen Frauen-Forum im Kreis. Die Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Kommunalpolitik spielte dabei eine entscheidende Rolle.

Links zu regionalen Aktionen
Verhaltenskodex in Potsdam
Kreistag Rendsburg-Eckernförde

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Körber Stiftung

Wie lässt sich die Sitzungskultur in kommunalpolitischen Gremien verbessern – ganz konkret, ohne komplizierte Regeländerungen? In Oberhavel kam die Antwort aus der Praxis: Eine neu positionierte Uhr, die allen im Raum die verbleibende Redezeit anzeigt, sorgt seit Ende 2022 für deutlich strukturiertere Sitzungen. Die Maßnahme wurde im Rahmen einer Demokratiewerkstatt des Projekts Aktionsprogramm Kommune – Frauen in die Politik! entwickelt und zeigt: Wenig hilft viel.

Abendlichen Sitzungen, die regelmäßig länger dauerten als geplant: ein Problem insbesondere für politisch engagierte Menschen mit familiären Verpflichtungen, die eine Kinderbetreuung organisiert haben oder die Kinder selbst ins Bett bringen möchten. Obwohl Redezeiten in den Geschäftsordnungen bereits festgelegt waren, fehlte es in der Umsetzung oft an Konsequenz. Die Uhr auf dem Tisch der Sitzungsleitung blieb für die Teilnehmenden unsichtbar und auch nach Ablauf der Zeit mussten noch viele Themen besprochen werden.

Ein Bildschirm im Saal zeigt nun transparent die Redezeit jeder Rednerin und jedes Redners sowie der Fraktionen an – inklusive des bereits genutzten Redezeitkontingents. Die Wirkung ist unmittelbar spürbar: Redebeiträge fallen kürzer aus, Debatten verlaufen fokussierter, Entscheidungen werden schneller getroffen.

Die neue Transparenz schafft Verbindlichkeit und trägt so zu einer besseren Vereinbarkeit kommunalpolitischen Engagements mit dem Privatleben bei. Denn: Sitzungen enden pünktlich und lassen sich besser planen – sei es für die Kinderbetreuung oder andere private Verpflichtungen.

Die Uhr war erst der Anfang: In Oberhavel wurden weitere Maßnahmen angestoßen – etwa Schulungen für Sitzungsleitungen, hybride Teilnahmeformate oder ein Verhaltenskodex, der für einen anderen Umgangston sorgen soll.

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Oberhavel

Eltern-Kind-Zimmer der Stadt Magdeburg

Politik braucht die Perspektiven aller – auch die von Menschen mit Care-Verantwortung. Doch wer kleine Kinder betreut, weiß: Plenarsitzungen, Ausschüsse und Abendtermine lassen sich mit dem Familienalltag oft nur schwer vereinbaren. Hier setzen Eltern-Kind-Räume ein wichtiges Zeichen für mehr Vereinbarkeit und gelebte Vielfalt.

Ob Mutter, Vater, Großeltern oder andere Betreuungspersonen – diese Räume bieten nicht nur einen Ort zum Spielen, Stillen oder Ausruhen, sondern auch ein Stück Freiheit: Die Freiheit, Verantwortung in Familie und Gemeinwesen miteinander zu verbinden. Sie ermöglichen Teilhabe – ganz praktisch, aber auch symbolisch. Denn sie zeigen: Politik darf nicht nur Raum für Debatten sein, sondern muss auch Platz machen für das Leben.

Ein gutes Beispiel ist das Eltern-Kind-Zimmer im Rathaus Magdeburg, das im November 2023 für Stadträtinnen und Stadträte eingerichtet wurde. Ziel war es, die Vereinbarkeit von Mandat und Familie aktiv zu fördern. Die Kinderbetreuung übernehmen qualifizierte Kindertagespflegepersonen, die durch das Jugendamt autorisiert sind. Mit den Sorgeberechtigten werden individuelle Vereinbarungen getroffen – etwa zu Abholberechtigungen, Erreichbarkeit oder Besonderheiten des Kindes. Auch eine Anwesenheitsübersicht wird geführt.

Der Raum ist kindgerecht gestaltet und bietet u. a. eine Schlaf- und Ruhemöglichkeit für jüngere Kinder. In unmittelbarer Nähe befinden sich Sanitärbereiche. Getränke und kleine Snacks bringen die Eltern selbst mit.

Für die Nutzung ist eine vorherige Anmeldung notwendig, möglichst eine Woche vor der Sitzung. Das Alter der Kinder wird bei der Anmeldung mit angegeben, sodass bei Bedarf zwei Betreuungspersonen eingeplant werden können – etwa bei mehreren Kindern oder bei unter Dreijährigen. Das Eltern-Kind-Zimmer öffnet 30 Minuten vor Beginn der Sitzung, um ein entspanntes Ankommen zu ermöglichen. Auch eine kurzfristige Absage sollte mitgeteilt werden.

Mittlerweile sind die Abläufe eingespielt: Betreuungspersonen und Nutzende stehen in engem Kontakt, und die Betreuungskräfte erhalten frühzeitig alle Sitzungstermine zur besseren Planbarkeit.

Wenn politische Institutionen Eltern-Kind-Räume einrichten, öffnen sie Türen – für mehr Mitgestaltung, für eine demokratische Kultur, die niemanden ausschließt. Nicht einmal die Jüngsten.

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Kommunalpolitik erfordert Zeit und Engagement – oft neben Beruf und Familie. Eine angemessene Aufwandsentschädigung ist daher entscheidend, um möglichst vielen Menschen die politische Teilhabe zu ermöglichen. In Nordrhein-Westfalen wurde eine landesweit einheitliche Entschädigungsverordnung eingeführt, die gestaffelt nach der Einwohnerzahl der Kommune feste Sätze vorgibt. Die Regelung sorgt für mehr Transparenz und Vergleichbarkeit. Sie verhindert große Unterschiede zwischen benachbarten Gemeinden und trägt dazu bei, dass kommunalpolitisches Engagement auch für Menschen mit geringem Einkommen oder Care-Verantwortung möglich bleibt. So wird Kommunalpolitik gerechter – und vielfältiger.

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Verordnung
über die Entschädigung der Mitglieder kommunaler Vertretungen und deren Ausschüsse im Land Nordrhein-Westfalen (Entschädigungsverordnung Nordrhein-Westfalen – EntschVO NRW):

 

Mit der Initiative Stillfreundliches Thüringen setzt das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie ein starkes Zeichen für eine familienfreundliche und gleichstellungsorientierte Gesellschaft. Ziel des Projekts ist es, das Stillen im öffentlichen Raum zu enttabuisieren, stillende Mütter zu unterstützen und für mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz zu sorgen.

In Kooperation mit verschiedenen Partnern – von Cafés über Behörden bis hin zu Kultureinrichtungen – werden Orte ausgezeichnet, an denen stillende Mütter willkommen sind. Diese sogenannten stillfreundlichen Orte tragen eine gut sichtbare Kennzeichnung und verpflichten sich dazu, Frauen beim Stillen zu unterstützen – ohne Konsumzwang, mit Rückzugsorten und einem klaren Bekenntnis zur Willkommenskultur.

Die Initiative verbindet praktische Unterstützung mit einem politischen Anliegen: Sie schafft öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema Vereinbarkeit und trägt dazu bei, gesellschaftliche Rahmenbedingungen für Mütter zu verbessern. Die Website www.stillfreundliches-thueringen.de bietet eine interaktive Karte aller Partnerorte sowie Informationen für Interessierte und Unterstützer*innen.

Dieses Praxisbeispiel zeigt, wie niedrigschwellige, sichtbare Maßnahmen zur Gleichstellung und Teilhabe beitragen können – gerade auch im ländlichen Raum.

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Tuebingen Rathaus

Die Universitätsstadt Tübingen hat ein umfassendes Maßnahmenpaket umgesetzt, um die Arbeitsbelastung ehrenamtlicher Gemeinderät*innen zu reduzieren und die Vereinbarkeit von politischem Engagement mit Beruf und Familie zu verbessern. Diese Initiative zielt darauf ab, die Vielfalt im Gemeinderat zu fördern und insbesondere auch jüngere Menschen für das Ehrenamt zu gewinnen.

Finanzielle Unterstützung und professionelle Assistenz

Zur Entlastung der Ratsmitglieder wurden die Aufwandsentschädigungen erhöht. Zudem erhalten Fraktionen finanzielle Mittel, um professionelle Unterstützung für administrative Aufgaben, Recherchen oder die Vorbereitung von Sitzungen zu engagieren. Diese Maßnahmen ermöglichen es den Ehrenamtlichen, ihre Arbeitszeit effizienter zu gestalten und ihre hauptberuflichen Verpflichtungen besser mit dem politischen Engagement zu vereinbaren.

Erhöhtes Sitzungsgeld bei Betreuungs- oder Pflegeverpflichtungen

Gemeinderät*innen mit familiären Betreuungs- oder Pflegeaufgaben können ein dauerhaft erhöhtes Sitzungsgeld beantragen. Dies dient dazu, die Kosten für externe Betreuung während der Sitzungszeiten zu decken und somit die Teilnahme an politischen Entscheidungsprozessen zu erleichtern.

Effizienzsteigerung durch strukturelle Anpassungen

Um die Sitzungsdauer zu verkürzen und die Vor- und Nachbereitung zu optimieren, wurden verschiedene Maßnahmen eingeführt:

  • Beschlussvorlagen sind auf maximal vier Seiten begrenzt, mit zusätzlichen Anhängen für detaillierte Informationen.

  • Die Fragestunde wurde ans Ende der Sitzungen verlegt, um den Ablauf zu straffen.

  • Sachfragen, die bereits in Ausschüssen behandelt wurden, werden im Gemeinderat nur erneut diskutiert, wenn neue Aspekte hinzukommen.

Perspektive: Hybride Sitzungsformate

Ein weiterer Schritt zur Verbesserung der Vereinbarkeit ist die Einführung hybrider Sitzungen, bei denen Mitglieder sowohl vor Ort als auch digital teilnehmen können. Obwohl während der Corona-Pandemie bereits positive Erfahrungen mit digitalen Formaten gesammelt wurden, ist die dauerhafte Umsetzung hybrider Sitzungen derzeit noch von landesrechtlichen Regelungen abhängig.

Tübingen zeigt mit diesen Maßnahmen, wie durch gezielte strukturelle Veränderungen das Ehrenamt gestärkt und politische Teilhabe für eine breitere Bevölkerungsgruppe ermöglicht werden kann.

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Vater mit zwei Kindern auf dme Arm

Elternvertreter*innen aller Kindertagesstätten vereint

Ausgehend von einem Antrag der FDP-Fraktion war die Grundidee, die Interessen der Eltern und der Kinder über alle Kinderbetreuungseinrichtungen hinweg zusammen zu tragen – damit diese in Münster noch stärker Gehör finden – auf politischer und auf Verwaltungs-Ebene. Jeweils zwei Vertreter*innen aus jeder der acht Kinderbetreuungseinrichtungen kommen in Münster und Altheim im Gesamtelternbeirat zusammen. Regelmäßig ist ein*e Vertreter*in der Gemeinde bei den Sitzungen dabei. „Der Gesamtelternbeirat ist als Plattform gedacht, die sich an politischen Diskussionen beteiligt, aber nicht direkt politisch agiert”, erklärte nach seiner Gründung der damalige Vorsitzende Michael Schwab.

Der Gesamtelternbeirat heute – aktiv und relevant

Tamara Koepfinger hat den Gesamtelternbeirat von Beginn an begleitet und ist heute die erste Vorsitzende des Gremiums. „Das Format des Gesamtelternbeirates hat sich bislang sehr bewährt”, sagt Koepfinger. Es gebe zwischen den Eltern eine viel engere Vernetzung über die Stadt hinweg und der Austausch führe zu klaren gemeinsamen Zielen. „Man kennt sich jetzt, bekommt im Beirat Einblick in die anderen Kindergärten und erkennt wichtige, uns alle verbindende Themen”, so die Vorsitzende. Die Vertreter*innen könnten nun im Interesse der Kinder und Eltern in Münster wirken. Um diese auch nach außen zu tragen, arbeitet der Beirat laut Koepfinger daran, öffentlich noch präsenter zu werden in Münster, etwa über verschiedene Kanäle in den sozialen Medien und gezielte Öffentlichkeitsarbeit. Schon jetzt steht der Gesamtelternbeirat im städtischen Flyer, den alle frischen Eltern bekommen.

Personalmangel, Streiks und fehlende Plätze

Gibt es etwa einen Anspruch auf Rückzahlung bei einem Streik im Gemeindekindergarten? Was kann getan werden gegen den Personalmangel? Und welche Wege gibt es, damit mehr Kindergarten und – vor allem Krippenplätze entstehen? Im Fokus des Gesamtelternbeirats stehen nach Koepfinger jene Themen, die die Betreuung in den Kindertagesstätten und Kindergärten betreffen. Der Elternbeirat trifft sich regelmäßig alle sechs Wochen. „Aktuell sind in Münster 50 Kinder ohne Krippenplatz”, sagt Koepfinger – dies sei ein drängendes Problem, bei dem der Beirat versucht einzuwirken auf die Politik.

Neu: jetzt auch politische Stimme in den Sitzungen

Bislang allerdings wurde der Beirat zwar zu allen Sitzungen der Gemeindevertretung eingeladen, aber hatte dort kein Rederecht. Die Folge: „Wir mussten mit jedem*jeder Vertreter*in einzeln sprechen und hatten nicht die Möglichkeit, in der Sitzung selbst von allen gehört zu werden”, so Koepfinger – mühsam und unbefriedigend. Deshalb hat der Beirat ein Rede- und Anhörungsrecht in den Sitzungen der Gemeindevertretung beantragt – mit Erfolg. Der Gesamtelternbeirats darf nun nicht nur passiv an den Sitzungen der Gemeindevertretung teilnehmen, sondern Anliegen formulieren. Für Koepfinger und ihre Mitstreiter*innen aus dem Gesamtelternbeirat sind mit dieser neuen Möglichkeit große Hoffnungen verbunden: „So lange uns keiner angehört hat, konnten wir nur begrenzt etwas bewirken – deshalb erhoffen uns nun viel von dem neuen Recht und freuen uns sehr, dass wir die Interessen der Eltern und Kinder ab sofort auch in der Gemeindevertretung artikulieren können”, sagt Koepfinger.

Autorin: Dorothea Walchshäusl

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