Anfeindungen, Antifeminismus und der leise Rückzug von Frauen aus der Kommunalpolitik
Zur Autorin
Kathrin Mahler Walther ist Geschäftsführende Vorsitzende der EAF Berlin und berät Organisationen zur Förderung von Vielfalt und Chancengleichheit. Sie hat für die EAF Berlin verschiedene Studien zu Führungskräften in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft durchgeführt, zuletzt 2024 die Studie zum „Engagement von Frauen in der Kommunalpolitik in Sachsen“ im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung.
Anfeindungen und Bedrohungen
Die Bereitschaft, mit verbaler oder körperlicher Gewalt gegen Andersdenkende vorzugehen, spüren Politikerinnen und Politiker inzwischen vermehrt. Verschiedene Studien haben in den letzten Jahren gezeigt, dass die Wertschätzung gegenüber der Arbeit von Politikern in der Bevölkerung zurückgegangen ist und dass diese in zunehmendem Maße mit Einschüchterungsversuchen wie Beleidigungen, Hetze, Bedrohungen und Gewalt konfrontiert sind (Mahler Walther/Lukoschat (2020); Körber Stiftung (2021); Klewes/Rauh et al. (2022); Blätte et al. (2022).
Mehrere Studien der letzten Jahre befassen sich mit Phänomen von Anfeindungen und Aggressionen gegenüber Kommunalpolitikerinnen und Bürgermeistern. Das aktuelle „Ranking deutscher Großstädte“ zeigt, dass 60 Prozent der befragten Kommunalpolitikerinnen Anfeindungen und Aggressionen erlebt haben. Die Quote unterscheidet sich bei männlichen und weiblichen Befragten kaum. Deutlich höher liegt sie hingegen bei nicht-binären Personen, von denen knapp 80 Prozent entsprechende Erfahrungen gemacht haben, wobei hier die geringe Fallzahl berücksichtigt werden muss.
Eine Studie des Ministeriums des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg belegt am Beispiel des Bundeslandes, dass die Werte im Hinblick auf absolute Anteile und auf Häufigkeit ein Stadt-Land-Gefälle aufweisen: Die Kommunalpolitiker in den Städten sind stärker betroffen als ihre Kolleginnen im ländlichen Raum. Zudem zeigen sich die Inhalte der Anfeindungen bei Frauen überdurchschnittlich häufig, zu etwa 50 Prozent, im Zusammenhang mit Sexismus (Klewes/Rauh et al. 2022). Mit Bezug auf Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern zeigt eine repräsentative Studie der EAF Berlin, dass Frauen in höherem Maße Beleidigungen und Bedrohungen (76 %/67 %) bis hin zu sexueller Belästigung (13 Prozent) ausgesetzt sind (Mahler Walther/Lukoschat 2020).
Antifeminismus: Gezielte Abwertung und Verdrängung
Mit der Gründung der Bundesrepublik wurde im Grundgesetz mit Artikel 3 Abs. 2 die Gleichberechtigung von Frauen und Männern verankert. Nach der Wiedervereinigung wurde Artikel 3 Abs.2 zudem um einen aktiven Gleichstellungsauftrag ergänzt, mit dem der Staat verpflichtet wird, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung zu fördern. Mit der zunehmenden Unabhängigkeit und Eigenständigkeit weiblicher Lebensentwürfe, der Liberalisierung traditioneller Geschlechterrollen bis hin zur geschlechtlichen Selbstbestimmung geht eine gesellschaftliche Modernisierung einher, die in einigen Teilen der Gesellschaft Verunsicherung und Abwehrreaktionen auslöst. Damit entsteht eine Anschlussmöglichkeit u.a. für antidemokratische, extrem rechte Bewegungen deren Kernelement Ungleichheits- und Ungleichwertigkeitsideologien darstellen. Geschlechterhierarchien sind fester Bestandteil rechter Ideologien, die darauf abzielen, geschlechteremanzipatorische Fortschritte zu bekämpfen und rückgängig zu machen. Diese gezielte Strategie gegen die Emanzipation und Gleichstellung der Geschlechter wird als Antifeminismus bezeichnet (vgl. Rahner et al. 2020).
Die Leipziger Autoritarismus Studie zeigt die Verbindung zwischen antifeministischen Einstellungen und rechter Ideologie sowie autoritären Einstellungen auf. Im Zeitraum von 2 Jahren hat die Studie zwischen 2020 und 2022 eine Zunahme antifeministischer Einstellungen um 7 Prozentpunkte festgestellt. 2022 haben ein Viertel der Deutschen ein geschlossen antifeministisches Weltbild, darunter ein Drittel aller Männer (33 Prozent) und ein Fünftel aller Frauen (19 Prozent) (Kalkstein et al. 2022, S. 253). Antifeminismus hat den Ergebnissen der Studie zufolge eine hohe Relevanz für rechtsautoritäres Denken und stellt zugleich eine „Brückenideologie“ in andere Teile der Bevölkerung dar: „Ausgeprägter Sexismus kann dann in Antifeminismus umschlagen, wenn die traditionellen Geschlechterrollen durch ‚den Feminismus‘ bedroht werden“ schlussfolgert die Autorenschaft (Kalkstein et al. 2022, S. 264).
Antifeminismus richtet sich grundsätzlich gegen die Errungenschaften der Frauenbewegungen und damit u.a. gegen politische Maßnahmen, die die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Beseitigung von Sexismus und Frauenfeindlichkeit zum Ziel haben. Teil des Antifeminismus als Ideologie der Ungleichwertigkeit ist die Umdeutung von emanzipatorischen Entwicklungen: die Freiheit, Lebensentwürfe geschlechtsrollenunabhängig zu verwirklichen, wird deklariert als Zwang zur Umerziehung, inklusive Sprache wird bekämpft und zu einem regelrechten „Triggerpunkt“ (vgl. Mau 2023) hochstilisiert mit der Folge, dass inzwischen in einigen Bundes- und Landesbehörden eine inklusive Sprache, welche die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten einschließt, in Behörden verboten ist. Auch systematische Einschüchterung von Menschen, die sich für Gleichberechtigung einsetzen, gehört zur antifeministischen Strategie. Menschen sollen „durch Angst vor Gewalt oder weiteren Angriffen zum Schweigen gebracht“ und „feministische Positionen durch konstante Diffamierung geschwächt werden“ (Rahner et al. 2020, S. 11).
Auswirkungen auf die Repräsentanz von Frauen in der Kommunalpolitik
Mehrere Studien haben in jüngster Zeit untersucht, welche Auswirkungen die zunehmenden Anfeindungen auf das Verhalten von Frauen haben. Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen überdurchschnittlich stark davon belastet sind (Körber Stiftung 2021) sowie deutlich häufiger als Männer aufgrund dessen ihr Verhalten anpassen und dabei hinsichtlich der Einbringung emanzipatorischer Perspektiven zurückhaltender werden. So haben knapp ein Drittel der Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker in deutschen Großstädten, die Anfeindungen und Aggressionen erlebt haben, in Reaktion darauf ihr Verhalten geändert. Auch ein Viertel der Amts- und Mandatsträgerinnen ohne persönliche Erfahrungen mit Anfeindungen und Aggressionen verändern ihr Verhalten aufgrund von Sorge vor diesen (Blätte/Dinnebier et. al 2022). In weniger urbanen Regionen trifft dies möglicherweise sogar auf mehr Abgeordnete zu. Eine Studie über Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker in Kleinstädten in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen legt diese Vermutung nahe. Den Ergebnissen zufolge verändern 41 Prozent der männlichen Befragten und 64 Prozent der weiblichen Befragten ihr Verhalten aufgrund der Sorge vor Angriffen, nahezu 9 Prozent der Frauen denken daran, nicht mehr erneut zu kandidieren (Holtkamp 2023a).
Die Studie zeigt auch, dass der Effekt der Verhaltensänderung besonders häufig bei Frauen, Personen mit Migrationsbiografie sowie Personen aus der Unterschicht, der Arbeiterschicht oder der unteren Mittelschicht auftaucht. Dabei ist themenbezogene Zurückhaltung die häufigste Verhaltensänderung. Die Autorenschaft warnt deshalb davor, dass durch die wachsende Bedrohungslage gerade die Stimmen von Vertretenden von Gruppen, die in der Kommunalpolitik unterrepräsentiert sind, leiser werden und an Präsenz verlieren. Es sind zwar (noch) keine signifikanten Effekte auf die deskriptive Repräsentation von Vielfalt in der Kommunalpolitik erkennbar, doch weist die Studie deutliche Effekte auf die substanzielle Repräsentation von Vielfalt in der Kommunalpolitik nach (Blätte/Dinnebier et. al 2022). Hier besteht erhebliche Gefahr, dass gerade die Perspektiven weniger repräsentierter und vulnerabler Bevölkerungsgruppen in der Kommunalpolitik noch seltener eingebracht und aufgenommen werden und ein Defizit in der demokratischen Repräsentation und Legitimation entsteht, was wiederum zu (weiter) schwindendem Vertrauen in die Politik führen kann.
Der Text ist ein Auszug aus der Studie „Engagement von Frauen in der Kommunalpolitik in Sachsen“, welche die EAF Berlin 2024 im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung erstellt hat. Autorinnen der Studie sind Kathrin Mahler Walther, Anna Sive, Lisa Hempe und Dr. Helga Lukoschat.
Die Langfassung der Studie ist hier verfügbar:
https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/47766
Quellen
Blätte, Andreas/Dinnebier, Laura/Schmitz-Vardar, Merve (2022): Vielfältige Repräsentation unter Druck: Anfeindungen und Aggressionen in der Kommunalpolitik. Heinrich-Böll-Stiftung.
Holtkamp, Lars/Meyer, Alice/Müller, Frederik/Wiechmann, Elke (2023a): Vielfalt auf dem Lande? Die politische Repräsentation und Wähler*innenakzeptanz von Frauen und Migrant*innen in west- und ostdeutschen Kleinstädten. Abschlussbericht. Forschungsförderung der Fernuniversität Hagen
Kalkstein, Fiona/Pickel, Gert/Niendorf, Johanna/Höcker, Charlotte/Decker, Oliver (2022): Antifeminismus und Geschlechterdemokratie. In: Decker, Oliver/Kies, Johannes/Heller, Ayline/Brähler, Elmar (Hg): Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Neue Herausforderungen – alte Reaktionen? Leipziger Autoritarismus Studie 2022. S. 245-270. Psychosozial-Verlag.
Klewes, Joachim/Rauh, Christina et al. (2022): Präventive Strategien zum Schutz von kommunalen Amts- und Mandatspersonen vor Einschüchterung, Hetze und Gewalt. Ministerium des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg (MIK).
Körber Stiftung (2021): Hass und Gewalt gegen Kommunalpolitiker/ innen. Einschätzungen und Erfahrungen von Bürgermeister/innen in Deutschland.
Mahler Walther, Kathrin/Lukoschat, Helga (2020): Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Deutschland 30 Jahre nach der Wiedervereinigung. Ergebnisse einer repräsentativen Befragung. EAF Berlin. Abrufbar unter: https://www.eaf-berlin.de/was-wir-tun/studien-publikationen/publikation/buergermeisterinnen-und-buergermeister-in-deutschland-30-jahre-nach-der-wiedervereinigung
Mau, Steffen/Lux, Thomas/Westheuser, Linus (2023): Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Suhrkamp.
Rahner, Judith/Schindler, Franziska/Spicker, Rachel (2020): Auswirkungen von Antifeminismus auf Frauenverbände. Herausgegeben vom Deutschen Frauenrat.
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