Jetzt erst Recht! Kommunalpolitikerinnen in Sachsen zwischen Angst und Aufbruch

Nur 30 Prozent Frauen sind bundesweit in kommunalen Vertretungen aktiv – in Sachsen sogar nur 22 Prozent. Warum das so ist und was sich ändern muss, zeigt eine Studie der EAF Berlin im Auftrag des SMJusDEG mit konkreten Handlungsempfehlungen.

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Kathrin Mahler Walther
Kathrin Mahler Walther
Geschäftsführende Vorsitzende der EAF Berlin. Diversity in Leadership
T +49 (30) 3087760-0

 

Dieser Beitrag erschien zunächst auf dem Blog der EAF Berlin.

Bundesweit liegt der Anteil von Frauen in den kommunalen Vertretungen bei nur 30 Prozent. Beim Blick auf die einzelnen Bundesländer zeigen sich erhebliche Unterschiede: Sachsen ist mit lediglich 22 Prozent Schlusslicht im bundesdeutschen Vergleich. Die Studie “Engagement von Frauen in der Kommunalpolitik in Sachsen” der EAF Berlin beleuchtet die Ursachen und gibt weitreichende Handlungsempfehlungen. Die Studie wurde im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung (SMJusDEG) von Kathrin Mahler Walther, Anna Sive, Lisa Hempe und Dr. Helga Lukoschat durchgeführt.

Die Ergebnisse der Studie zeigen ein differenziertes Bild der aktuellen Situation in Sachsen: Zum einen gibt es eine starke Zivilgesellschaft mit vielen motivierten und engagierten Frauen, es ist also großes Potenzial für die Stärkung der Repräsentation von Frauen vorhanden. Die gestiegene Anzahl von Kandidatinnen für die Kommunalwahl 2024 unterstreicht dies. Zum anderen stellt das zunehmend polarisierte politische und gesellschaftliche Klima und damit einhergehende Anfeindungen und Bedrohungen eine wachsende Barriere für kommunalpolitisches Engagement von Frauen und marginalisierten Personengruppen dar. Die herausfordernde politische Situation hält Frauen teilweise davon ab, sich in der Kommunalpolitik zu engagieren. Sie führt aber zugleich auch zu einer Verstärkung des demokratischen Engagements, zu einem „Jetzt erst recht!“. So entschieden sich mehrere langjährige Mandatsträgerinnen gerade deshalb für eine erneute Kandidatur. Viele Frauen engagieren sich in einer der zahlreichen Initiativen und Bündnisse für Offenheit, Toleranz und ein solidarisches Miteinander.

„Es gibt hier überall Menschen, die ganz andere Werte vertreten. Und das Ziel ist natürlich, dass auch die laut werden und dass ganz Deutschland sieht: Sachsen ist nicht nur blau und es gibt ganz, ganz viele, die was dagegen tun und da auch wütend darüber sind. Unsere schöne Region, die so lebenswert ist und die so viele wunderbare Möglichkeiten hat. […] Umso wichtiger finde ich es, dass man wirklich sagt: ‚Ich rege mich darüber nicht nur auf, sondern ich gucke, was kann ich machen im Rahmen meiner Möglichkeiten.“

(Teilnehmerin der Studie, Fokusgruppe Zivilgesellschaft, ländliche Region)

Frauenanteile in den Kreistagen und Stadträten der kreisfreien Städte 2019
Frauenanteile in den Kreistagen und Stadträten der kreisfreien Städte 2024

Unbedingt notwendig: Angebote zur Ansprache und Stärkung von Frauen

Der Anteil von Frauen in der Kommunalpolitik in Sachsen ist mit der Kommunalwahl 2024 leicht angestiegen auf 22 Prozent – von vorher 20 Prozent. Dies fällt besonders stark in jenen Regionen ins Gewicht, in denen viele Programme und Veranstaltungen zur Stärkung und Motivation von Frauen stattfanden. In Landkreisen mit dahingehend hoher Aktivität konnten die Frauenanteile um bis zu 8 Prozentpunkte – wie im Kreistag Meißen – gesteigert werden. Es lohnt sich demnach nicht nur, in entsprechende Maßnahmen zur Ansprache von Frauen zu investieren, es ist vielmehr eine Notwendigkeit. Denn während in sechs Landkreisen die Repräsentanz von Frauen stieg, sank sie zugleich in vier Landkreisen – am stärksten um 5 Prozentpunkte im Erzgebirgskreis, wie die Abbildungen 1 und 2 im Vergleich zeigen.

Zusätzliche Hürden: Strukturelle Rahmenbedingungen

Die Ursachen für die geringe und in manchen Regionen sogar rückläufige Repräsentanz von Frauen liegen neben dem sich zuspitzenden politischen und gesellschaftlichen Klima auch in den strukturellen Rahmenbedingungen für kommunalpolitisches Engagement. Dazu zählen gesellschaftlich verankerte Rollenbilder, die zu Herausforderungen in der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und zur Ausgrenzung von Frauen in der Politik führen. Fast alle in der Studie befragten Frauen berichten über Erfahrungen von Sexismus. Er begegnet den Frauen in den Parteien, den Räten, auf der Straße und in den Medien. Frauen setzen darauf, sich mit inhaltlicher Kompetenz Gehör und Akzeptanz zu verschaffen und klare Grenzen gegen sexistische Angriffe zu setzen. Das benötigt viel Energie und stellt neben der Arena der inhaltlichen Auseinandersetzungen im Rat eine zusätzliche Arena der Selbstbehauptung dar. Erschwerend kommen weitere Faktoren wie lange Sitzungszeiten in den Abendstunden, aufwendige Vorbereitungen und zusätzliche Vor-Ort-Termine mit Bürger*innen hinzu. Diese erfordern eine Einschränkung beruflicher Tätigkeiten, welche jedoch durch häufig sehr geringe Aufwandsentschädigungen nicht kompensiert wird. Hinzu kommt, dass mit einer Reduzierung der Arbeitszeit auch Einbußen in der Altersvorsorge verbunden sind. Angesichts dieser Herausforderungen können sich viele Frauen ein kommunalpolitisches Engagement schlichtweg nicht leisten.

Was ist zu tun? Handlungsempfehlungen zur Förderung der Repräsentanz von Frauen

Auf der Grundlage der Studienergebnisse wurden von der EAF Berlin Handlungsempfehlungen entwickelt. Diese verstehen sich als miteinander verflochtene Aspekte einer Gesamtstrategie, welche die Vielfalt von Frauen mit ihren jeweiligen Hemmnissen in den Blick nimmt. Sie richten sich an eine Bandbreite von Adressat*innen in den Kommunen sowie auf Landes- und Bundesebene, dazu zählen die kommunalen Spitzenverbände ebenso wie zivilgesellschaftliche Akteur*innen und Parteien. Sie alle müssen einen Beitrag leisten zur Stärkung einer geschlechtergerechten, vielfältigen Repräsentanz der Bevölkerung in der Kommunalpolitik und damit zur Zukunftsfähigkeit dieses für das Gemeinwesen so wichtigen Engagements. Die Handlungsempfehlungen umfassen folgende Felder:

  • Ein breites Angebot zu politischer Bildung und zur Beteiligung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene ermöglichen
  • Ressourcen zur Stärkung der Zivilgesellschaft bereitstellen – viele Kommunalpolitikerinnen finden ihren Zugang und ihre Motivation über zivilgesellschaftliches Engagement.
  • Gleichstellungsstrukturen stärken – kommunale Gleichstellungsbeauftragte brauchen zeitliche und finanzielle Ressourcen, um vor Ort ihre Schlüsselrolle wahrnehmen zu können.
  • Überparteilicher Programme und Maßnahmen zur Ermutigung, Information und Vernetzung für Frauen schaffen.
  • Aktive Ansprache von Frauen und weiteren unterrepräsentierten Gruppen durch die Parteien, Schaffung einer Willkommenskultur und -struktur.
  • Institutionelle Rahmenbedingungen verbessern, beispielsweise durch die Möglichkeit hybrider Sitzungen und landesweit einheitlich gestalteter, angemessener Aufwandsentschädigungen.
  • Wirksamen Schutz vor Beleidigungen und Bedrohungen im Rat, im Lebensumfeld und im Internet sicherstellen.
  • Intersektionale Perspektive einnehmen und spezifische Barrieren unterschiedlicher Frauen adressieren und abbauen.

Studiendesign

Für die qualitative Studie wurden zwischen Oktober 2023 und März 2024 Einzelinterviews und Fokusgruppendiskussionen mit folgenden Zielgruppen aus allen Landkreisen und kreisfreien Städten in Sachsen geführt:

  • Amts- und Mandatsträgerinnen
  • Weibliche Parteimitglieder ohne kommunalpolitisches Mandat
  • Zivilgesellschaftlich engagierte Frauen ohne kommunalpolitisches Mandat.
  • Zur Studie: Engagement von Frauen in der Kommunalpolitik in Sachsen.

Zur Studie

Hier kann die Studie sowie die Kurzfassung herunterladen und die Kurzfassung als Druckexemplar kostenfrei bestellt werden. Hier klicken.

Der Beitrag erschien zunächst auf dem Blog der EAF Berlin.

Autorin: Kathrin Mahler Walther, Geschäftsführende Vorsitzende der EAF Berlin

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Ein Projekt der EAF Berlin in Kooperation mit dem Deutschen LandFrauenverband