Aufgeben ist keine Option – wir fordern Parität jetzt!

An die Abgeordneten des Deutschen Bundestags erging ein klarer Auftrag: im Zuge der Wahlrechtsreform zur Verkleinerung des Bundestags sollten Vorschläge erarbeitet werden, wie künftig Parität im Parlament erreicht werden kann.

Autorin

Dr. Helga Lukoschat ist ist ehrenamtliches Vorstandsmitglied und Senior Advisor der EAF Berlin.
Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Beratung von Unternehmen und Organisationen, in der Konzipierung und Durchführung praxisorientierter Forschungsprojekte sowie in der strategischen Steuerung von Programmen und Kooperationsprojekten sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik. Sie hat zahlreiche Publikationen, etwa zu Parteikuluturen und die politische Teilhabe von Frauen, veröffentlicht und wird vielfach als Expertin, Moderatorin oder Rednerin angefragt. Einen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit bilden internationale Projekte zur Förderung der politischen und gesellschaftlichen Partizipation von Frauen.

Dieser Beitrag erschien zunächst auf dem Blog der EAF Berlin.

Diese Chance wurde erst einmal gründlich vertan. Im Gesetzentwurf der Ampelkoalition zur Verkleinerung des Bundestags steht dazu kein einziger Satz. Die FDP mauerte entschieden. SPD und Grüne konnten oder wollten keinen Koalitionskrach in dieser Frage riskieren. Eine interfraktionelle Fraueninitiative, wie sie bei der Durchsetzung der Quote für Aufsichtsräte in der Wirtschaft erfolgreich war, und der sich auch Frauen (und Männer) aus der CDU hätten anschließen können, kam gleichfalls nicht zustande.

Dabei wird selbstverständlich, auch von CDU und FDP, immer wieder betont, für mehr Frauen im Parlament zu sein. Parität zwischen den Geschlechtern gilt als wünschenswertes Ziel, aber offenbar als eines, das bitteschön in fernster Zukunft zu liegen hat und um das man sich hier und heute nicht kümmern muss. An treuherzigen Bekundungen fehlt es also nicht, aber wenn es darauf ankommt, fehlt der politische Wille und stehen die parteipolitischen Kalküle im Vordergrund.

Seit Jahrzehnten stagniert der Anteil von Frauen im Bundestag bei circa einem Drittel oder ging, wie bei der Wahl von 2017 geschehen, sogar zurück. Aktuell liegt er bei 35 Prozent. Von den im Bundestag vertretenen Parteien haben nur drei, allen voran Bündnis 90/Die Grünen, gefolgt von der Linken und der SPD, verbindliche interne Regelungen bzw. Quoten. Ohne die Abgeordneten dieser Parteien würde der Anteil noch deutlich niedriger ausfallen und bei ca. 25 Prozent liegen. Und dies in einem der größten und wichtigsten Länder in der Europäischen Union. Dabei haben Länder wie Frankreich, Spanien, Belgien längst wirksame Paritätsgesetze.

Die Wahlrechtskommission, bestehend aus Abgeordneten und von den Parteien benannten Expert*innen, war in dieser Frage gespalten. Die eine Hälfte der Expert*innen argumentierte für ein Paritätsgesetz, die andere Hälfte dagegen. Nach Urteilen der Landesverfassungsgerichte in Thüringen und Brandenburg 2020, welche die dort verabschiedeten Gesetze für nicht verfassungskonform erklärt hatten, war dies zu erwarten. Die Gegner*innen beriefen sich auf die Urteile, die Befürworter*innen argumentierten einmal mehr, dass die Urteile anfechtbar und unzureichend begründet seien und das letzte Wort dazu in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht noch gesprochen werde.

Während aber bei anderen Fragen der Gesetzgeber zurecht die Initiative ergreift und keine Angst vor „Karlsruhe“ hat, wurde hier die Frage der Verfassungskonformität genutzt, um jegliche Initiative abzuwürgen. So wurde auch der kreative Vorschlag einer Expertin, in den Gesetzentwurf der Ampel eine Mandatszuteilung nach paritätischen Gesichtspunkten zu integrieren, in keiner Weise aufgegriffen.

Denn es geht um viel. Im Kern dreht sich die Debatte darum, welche Geltung Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes zukommt und wenn ja, wie damit Eingriffe in gleichfalls grundgesetzlich geschützte Güter zu rechtfertigen sind, im Fall der Parität in Artikel 21 („Parteienfreiheit“) und Artikel 38 („Wahlfreiheit“). Im Grundgesetz heißt es unmissverständlich: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Weil es aber de facto weiterhin mittelbare und unmittelbare Diskriminierung gab (und bis heute gibt), wurde der Absatz bereits 1994 um folgenden Satz ergänzt: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“.

Die Debatte um die Auslegung und Bedeutung von Artikel 3. Absatz 2 ist daher eine Debatte von enormer Relevanz  für die gesamte Gleichstellungspolitik. Aber auch das wurde kaum thematisiert. Auch den zahlreichen zivilgesellschaftlichen Stimmen, die sich in der von Rita Süssmuth und dem Münchner Verein „Parité in den Parlamenten“ ins Leben gerufenen Initiative „Parität Jetzt!“ zusammengeschlossen hatten und zu der auch die EAF Berlin gehört, gelang es nicht, in einer Weise zu mobilisieren und Druck aufzubauen, wie es wünschenswert und notwendig gewesen wäre.

Aber damit hat sich das Thema der Parität nicht erledigt. Weiterhin geht es darum, strukturelle Benachteiligungen und Hürden für die politische Partizipation abzubauen, den alltäglichen Sexismus in der Politik zu überwinden und einen kulturellen Wandel zu ermöglichen, der parteipolitisches Engagement deutlich zugänglicher und attraktiver macht – für Frauen und für andere bisher unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen. Dafür gibt es zahlreiche praktische Vorschläge und Maßnahmen, doch müssen diese letztlich von gesetzlichen Leitplanken flankiert sein, damit alle Parteien wissen, dass sie gefordert sind. Denn letztlich geht es neben der Gleichberechtigung als einem zentralen Wert unseres Grundgesetzes, auf den wir zurecht stolz sind, auch um die Weiterentwicklung und Zukunftsfähigkeit unserer parlamentarischen Demokratie.

Die mutigen Vorreiterinnen für das Frauenwahlrecht mussten in Deutschland rund ein Dreivierteljahrhundert dafür kämpfen, in anderen Ländern, wie der Schweiz, sogar bis in die 1970er Jahre hinein. Der Internationale Frauentag, 1911 zum ersten Mal begangen, stellt das aktive und passive Wahlrecht für Frauen als eine zentrale Forderung auf.

Wie Rita Süssmuth also zu Recht sagt: Aufgeben ist keine Option.

Der Beitrag erschien zunächst auf dem Blog der EAF Berlin.

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Dr. Helga Lukoschat
ist ehrenamtliches Vorstandsmitglied und Senior Advisor der EAF Berlin.

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